Tschernobyl: Alles über die grösste Atomkatastrophe der Welt

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[Einleitung]
Mit der Dokumentation „The Battle of Chernobyl“ (Originaltitel: La bataille de Tchernobyl) entstand 2006 ein Dokumentarfilm, der bis dahin unveröffentlichtes Material über den Kernreaktor-Unfall von 1987 bieten und neue Erkenntnisse teilen sollte, die der breiten Masse der Bevölkerung zuvor verschlossen blieben. Dem Netflix Algorithmus sei Dank, so das ich auf den Titel von Regisseur Thomas Johnson aufmerksam wurde, der hierzulande unter „Tschernobyl: Alles über die grösste Atomkatastrophe der Welt“ läuft. Also schaute ich mir an einem Wochenende diese Doku an, ohne die größten Erwartungen an sie zu stellen, da es schon eine Menge Material zum Vorfall gibt, auch in Doku-Form.

Inhalt
Die schicksalshafte Nacht des Reaktorunglücks im Kernkraftwerk von Tschernobyl und der darauffolgende Kampf, eine Katastrophe zu verhindern, sind Thema dieser Doku.
(Quelle: Netflix)

[Kommentar]
Was ich dieser Dokumentationsendung hoch anrechne: sie zeigt uns auch allem Anschein nach hochrangige Funktionäre und Generäle in Situationen, in denen ich sie nicht vermutet hätte. Mir war bewusst, dass damaliges Staatsoberhaupt M. Gorbatschow erst drei Jahre später einmal den Ort des Unglücks aufsuchte. Als Beispiel sei hier ein General genannt. Er überwachte jeden Schritt der Operation der Dachsäuberung praktisch persönlich, so dass die Bauarbeiten für den ersten Sarkophag fortgesetzt werden konnten. Er spricht zu den Liquidatoren und ist ebenfalls vor Ort.

Ich denke einigen Menschen gebührt aus heutiger Sicht große Dankbarkeit. Die meisten Helfer sind dieser Schlacht mittlerweile zum Opfer gefallen. Das waren echte Helden, deren politisches System leider eher im Verschleiern und Totschweigen geübt ist, so das ihnen selten nur die entsprechende Ehre widerfuhr und sie auch vor Ort nicht die Wahrheit erfuhren über die tatsächlichen Gefahren. Doch in Interviews ist der Tenor oft, irgendwer musste es tun. Fertig.

Wir sehen hier erstmals Aufnahmen, die eben bis dazumal (2006) nicht gezeigt wurden. Ebenfalls wird die Erkenntnis geteilt, das man von einer zweiten Explosion ausging, dessen Auswirkungen vermutlich gesamt Europa hätten unbewohnbar werden lassen. Auch ist heute klar, dass man niemals eine Menschenseele hätte auf das Dach senden dürfen, da die angenommenen Werte und die Berechnungen, für die sie verwendet wurden, eben viel zu niedrig angesetzt waren. Oftmals wird der damalige Staat als kriminell bezeichnet. Fakt ist jedoch auch, dass man etwas tun musste.

Die Doku zeigt Schaubilder, Grafiken, Original-Fotos, Archivmaterialien bewegter Natur von vor Ort. Es entstand bei mir ein sehr geprüfter, versierter und fachlich hochwertiger Eindruck, der versucht recht nüchtern darzustellen, was geschah. Auch wird nicht verschwiegen, dass der maßgebliche Kopf hinter den Aktivitäten am Unglücksort, Waleri Alexejewitsch Legassow, am zweiten Jahrestag nach dem Super-GAU Selbstmord begann. Er litt ebenfalls unter der Strahlung, war jedoch zutiefst frustriert über den Umgang mit dem Thema und den Ergebnissen seiner Arbeit.

[Technik]
Netflix kann an der Grundlage der Bilder auch nicht viel ändern oder verbessern, denke ich. Denn eines ist klar, nicht nur das Alter, sondern auch die Umstände hatten natürlich Einfluss auf die Materialien, damals wie heute. Über die Menge an Aufnahmen, die ich noch nicht kannte, war ich positiv überrascht. Qualitativ ist soweit alles in Ordnung, bedingt man eben das Drumherum. Gezeigte Schemata oder Animationen sind sauber und klar in ihrer Ausspielung. Das Geschehen schwierig mit anderen Dokumentationen zu vergleichen. Klar ist, das es keine besseren Bilder geben wird. Die Wiedergabe erfolgt in einem 16:9-Schnitt.

Die tonalen Gebaren sind natürlich ebenfalls streng und eng mit den Aufnahme-Originalen verknüpft und oftmals sprechend hier die Interviewten in ihrer Muttersprache, also Russisch oder Ukrainisch, sowie Englisch. Eine Synchronfassung via Overlay gibt es in unterschiedlichen Sprachen. Wenn russisch o.ä. gesprochen wird, empfiehlt es sich auf die mehrsprachigen (auch Deutsch) Untertitel zuzugreifen. Qualitativ soweit in Ordnung, allerdings mit nichts von heute zu vergleichen. Zudem handelt es sich im Kern um eine sachbezogene Sendung.

[Fazit]
Dieser Film ist eine Dokumentation, ganz nach meinem Geschmack. Vorwurfs frei, insgesamt recht neutral und sachlich in der Berichterstattung, erfährt das Publikum eine ganze Menge über diesen unfassbar schlimmen Unfall von vor über 40 Jahren, unter dem die Menschheit, insbesondere das umliegende Gebiet, um das mittlerweile abgeschaltet AKW, noch heute leiden. Erst jüngst wurde der zweite Sarkophag fertiggestellt. Und damit wird es nicht erledigt sein. Dort liegt auch ein Stoff, der eine Halbwertszeit von 245.000 Jahren aufweist. Einer der zu Wort kommenden Wissenschaftler spricht nüchtern davon, das man unter Menschen diese Spanne ruhig als ‚ewig‘ einstufen kann.

Von den Folgen für die Menschen damals und die nächsten Generationen, die mit todbringenden Mutationen zur Welt kamen – verheerend. Und politisch betrachtet natürlich ebenfalls eine Tragödie. All die Hunderttausende an Helfern, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR jung starben und von den Regierungen nur minder bis gar nicht unterstützt wurden. Doch diese Menschen waren es, denen wir alle es zu verdanken haben, dass noch schlimmeres verhindert wurde. Wie furchtbar, das während der Arbeiten direkt nach der Katastrophe stets Entscheidungen zu fällen waren und der Faktor, wie viele Menschen dabei tödlicher Strahlung ausgesetzt wurden, eine Rolle spielte. Statistiken und Studien gibt es hingegen kein.

„Tschernobyl: Alles über die grösste Atomkatastrophe der Welt“ weist eine FSK von ab 12 Jahren auf und bietet uns eine Laufzeit von sehr interessanten 94 Minuten. Nach wie vor finde ich die Bilder erschreckend zu sehen, vor allem, weil man schlichtweg die Gefahr nicht wirklich sieht. Da fahren zusammenmontierte Roboter-Geräte gen Kernschmelze, um Schutt zu beseitigen und bekommen plötzlich Kurzschlüsse, versagen oder spielen verrückt. Das ist wirklich gruselig. Welch grenzenlose Gefahr.

Andre Schnack, 26.01.2023

Film/Inhalt:★★★★★☆ 
Bild:★★★☆☆☆ 
Ton:★★★☆☆☆ 
Extras/Ausstattung:★★☆☆☆☆ 
Preis-Leistung★★★★☆☆ 

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